Eindrücke aus Tunesien in Jahr nach der Revolution
War was in Tunesien?
Freitag, 23. März 2012 von AK
War da was in Tunesien?
Ein Jahr nach dem “arabischen Frühling”, der mit der sogenannten “Jasmin-Revolution” in Tunesien begann, ist die politische Lage in den Ländern der arabischen Welt eine höchst unterschiedliche. In Ägypten etwa mutet der vielbeschworene Frühling mittlerweile eher eiszeitlich an, in Algerien scheint die Machtelite mehr und mehr auf Abschottung zu setzen und in Syrien bombt Bashar al-Assad weiter auf sein Volk ein. Um Tunesien aber ist es nach den Wahlen, die die islamische – für viele eher “islamistische” – Ennahda-Partei für sich entschied, still geworden. Befragt man die zahlreichen Portale im Internet, die sich mit der Auswertung von in Suchmaschinen-Anfragen beschäftigen, nach “Tunesien”, erhält man ausschließlich (!) Stichwort-Kombinationen, die sich auf touristisches beziehen: Wetter, Hotels, Teppiche… Aber war da nicht was in Tunesien?
Eindrücke aus Tunesien in Jahr nach der Revolution
Seltsamerweise trifft dieser Eindruck von Tunesien durchaus mit dem Bild zusammen, das sich dem noch oberflächlichen Beobachter im Land selbst bietet: Man muss im Alltag schon sehr genau hinschauen, um Hinweise auf Veränderungen in Tunesien zu bemerken. Zwei Dinge fallen allerdings ins Auge, wenn man Tunesien aus der Zeit “davor” bereits kennt: Es gibt weniger Polizei im Straßenbild, die allgegenwärtigen rot-weißen Wachhäuschen an Straßenkreuzungen stehen oft verwaist da. Dazu trifft man weit häufiger Tunesierinnen mit angelegtem Kopftuch an, wobei dieses allerdings fast ausnahmnslos auf die “kreuzberg-modebewusste” Art getragen wird, nicht auf die verhüllende. Am großen Wert, den man in Tunesien insbesondere bei jungen Frauen auf das Aussehen legt, hat die politische Präsenz der zuvor verbotenen islamischen Parteien definitiv nichts geändert, zumindest nicht in der touristisch erschlossenen Küstenregion.
Weniger Polizei, mehr Kopftücher
Im Stadtzentrum der tunesischen Hauptstadt Tunis fallen Reste von Stacheldraht-Absperrungen auf, vereinzelt sieht man auch Soldaten, die vor öffentlichen Gebäuden die Polizei ersetzt haben. Eine ehemaliges Gebäude der Partei des früheren tunesischen Diktators Ben Ali, die auch als Folterkammer berüchtigt war, steht leer, ihr Eingang ist von Luftschlangen umkränzt. In Polizeistationen und Gefängnissen wird immer noch gefoltert, so hört man. Die Tötungen an Demonstranten im letzten Jahr wurden wohl bisher nicht strafrechtlich verfolgt. In Polizei und Justiz scheinen in Tunesien – nicht verwunderlich – noch die gleichen zu herrschen, wie vor der Revolution. Aber all dies sieht man nicht und man hört es in Tunesien auch nur, wenn man weiß, wohin man hören muss. Das gilt auch für die Versuche des rechten, salafistischen Flügels der Ennahda, die Verhältnisse in Richtung orthodoxer Gottesstaat zu verschieben. Vor allem im Landesinneren Tunesiens werden Übergriffe auf “unzüchtig” gekleidete Frauen gemeldet. Und sind die Muezzins nicht auch zahlreicher und lauter geworden? Vielleicht.
Vor der Revolution war alles besser?
“Vor der Revolution war in Tunesien alles besser”, das haben wir mit Überzeugung vorgetragen gehört. Und das erstaunlicher- aber auch bezeichnender Weise von Menschen, die den beiden entgegengesetzten Schichten der Gesellschaft – sehr reich und sehr arm – angehören. Die einen, die in Tunesien Häuser gesammelt haben wie andere Briefmarken, fürchten um Pfründe und Sicherheit. Die anderen beklagen schlicht, dass das tägliche Brot kaum noch erschwinglich ist, nachdem die staatlichen Regulierungen für Grundnahrungsmittel weitgehend gefallen sind. Und wie geht es nun weiter in Tunesien? Die Situation scheint offen, für Freiheit und Demokratie stehen die Vorzeichen aber vermutlich günstiger als anderswo in der arabischen Welt. Denn der politische Islam wird hierzulande Rücksicht nehmen müssen auf eine Mentalität, die dem Straßencafé grundsätzlich näher steht als der Koranschule. Auch die diffuse Furcht vor „denen da oben“, die in Algerien alles Leben lähmt, ist die Sache der Tunesier nicht.
Die TUI fliegt nicht nach Teheran
Wichtiger noch: Tunesien ist weitgehend vom Tourismus abhängig, besitzt weder Gas- noch Ölvorkommen. Diese Einnahmen wird man nicht gefährden dürfen, denn, platt gesagt, die TUI fliegt auch nicht nach Teheran. Letztlich wird auch in Tunesien jeder politische Akteur – welche Couleur auch immer – daran gemessen werden, wie es dem Land wirtschaftlich geht. In einer Weltregion, im der Armut immer noch ganz simpel den Kampf ums tägliche Brot bedeutet, ist wirtschaftliches Versagen politischer Selbstmord, das wussten die Diktatoren in Tunesien, Algerien und anderswo immer ganz genau.
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Veröffentlicht am Freitag, den 23. März 2012 um 12:12 Uhr
Kategorien: Tag der Wahrheit
Tags: Algerien, Arabische Welt, Arabischer Frühling, Bashar al-Assad, Ben Ali, Ennahda, Folter, Islam, Islamismus, Revolution, Syrien, Teheran, TUI, Tunesien, Tunis, Ägypten
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