Novelle

„Ein grünes Blatt“ von Theodor Storm

Theodor Storm 1886

Theodor Storm 1886

1. Einleitung – zu Storms Leben

Theodor Storm wurde am 14. September 1817 in der Handelsstadt Husum, der „grauen Stadt am Meer“ geboren. Er besuchte die Gelehrtenschule, war seit 1835 Schüler des Katharineums zu Lübeck und immatrikulierte sich im Jahre 1837 an der Universität Kiel, um dort Rechtswissenschaften zu studieren. Daraufhin war Storm als Advokat und Richter in seiner Heimatstadt tätig.

1853 – unter dänischer Besatzung – musste er fliehen und arbeitete seit 1856 als Assessor in Potsdam, später als Richter in Heiligenstadt. Mit dem Schweizer Erzähler Gottfried Keller verband ihn eine langjährige Freundschaft. In Berlin schloss Storm Bekanntschaft mit Joseph von Eichendorff, Theodor Fontane und Paul Heyse. Letzterer blieb ihm Freund und kritischer Berater – der Briefwechsel zwischen den beiden Dichtern dauerte bis ins Jahr 1888. 1855 lernte Storm den Dichter Eduard Mörike in Stuttgart persönlich kennen. Auch mit ihm verband Storm eine langjährige Freundschaft mit gegenseitiger Hochachtung.

1864 kehrte Storm nach Husum zurück und übte dort von 1867 bis 1880 wieder das Richteramt aus. Er starb am 4. Juli 1888 in Hademarschen.

2. Inhalt der „Ein grünes Blatt“

Ähnlich wie bei „Immensee“ handelt es sich auch beim „Grünen Blatt“ um eine sog. Rahmen-Erzählung. Zwei junge befinden sich im Feldlager, der eine von ihnen, Gabriel, besitzt ein altes Buch, eine Art Album. Verse und Lebensannalen wechseln einander ab – meist unbedeutende Geschichten, die man kaum als solche bezeichnen kann. Dennoch macht dieses seltsame „Gebetbuch“ mit den groben gelben Blättern ihre ganze Feldbibliothek aus. Dem Freund, der oft darin gelesen hat, fällt mit einem Mal ein eingelegtes Buchenblatt auf, das er zuvor immer übersehen hat. Daneben steht geschrieben:

Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,
Ich nahm es so beim Wandern mit,
Auf daß es einst mir könne sagen,
Wie laut die Nachtigall geschlagen,
Wie grün der Wald, den ich durchschritt.

„Das Blatt ist braun geworden“, bemerkte der Freund. Der andere schüttelte nur den Kopf und sagte: „Lies nur die andre Seite.“

Nun beginnt die eigentliche Erzählung. Ein junger Mann (Gabriel) ist auf dem Weg, in den Krieg zu ziehen. Die Kugelbüchse, die er über der Schulter trägt, scheint ihm schwer zu werden. Da er sich ein wenig verlaufen hat und überdies in der glühenden Nachmittagssonne müde geworden ist, legt er sich hin und schläft ein.
Er wird von einem Mädchen namens Regine geweckt, das in einer alten Kate am Waldesrand bei ihrem Urgroßvater lebt. Er fragt sie nach dem Weg in die Stadt, aber sie lädt ihn zuerst in die Kate zur Vesper ein. Danach wolle sie ihm den Weg weisen. Gabriel ist damit einverstanden und hebt, seines Reisezieles gedenkend, ein Lied zu singen an:

Geburtshaus von Theodor Storm in Husum

Geburtshaus von Theodor Storm in Husum

Es liegen Wald und Heide
Im stillen Sonnenschein.
Wir hätten gerne Frieden;
Doch ist es nicht beschieden,
Gestritten soll es sein.

Nun gilt es zu marschieren
In festem Schritt und Tritt;
Der Krieg ist losgelassen,
Er schreitet durch die Gassen,
Er nimmt uns alle mit!

So leb denn wohl, lieb Mutter!
Die Trommel ruft ins Glied.
Mir aber in Herzensgrunde
Erklingt zu dieser Stunde
Ein deutsches Wiegenlied.

Das Mädchen bittet Gabriel, dem Großvater gegenüber den Krieg nicht zu erwähnen, da jener noch nicht an ihn glaube. Regine führt Gabriel nun zu ihrem Urgroßvater, der seit siebzig Jahren eine Bienenzucht betreibt. Der alte Mann strahlt für Gabriel etwas Beruhigendes aus. Nach dem Abendbrot weist Regine Gabriel den Weg durch den Wald, bis die Bucht zu erkennen ist. Von dort aus kann er mit dem Fährboot die Stadt erreichen.

Storms „Grünes Blatt“ ist nicht ganz frei von nationalem Patriotismus. So fragt Regine Gabriel beim Abschied: „Weshalb mußt du in den Krieg?“ Gabriels unmissverständliche Antwort lautet: „Es ist für diese Erde“, … „für dich, für diesen Wald – - – damit hier nichts Fremdes wandle, kein Laut dir hier begegne, den du nicht verstehst, damit es hier so bleibe, wie es ist, wie es sein muß, wenn wir leben sollen – unverfälschte süße, wunderbare Luft der Heimat!“
In ähnlichem Ton endet auch die Novelle, wieder mit der Rahmenerzählung der beiden Soldaten, erneut mit einem Gedicht aus ihrem einzigen Buch:

Und webte auch auf jenen Matten
Noch jene Mondesmärchenpracht,
Und ständ sie noch im Blätterschatten
Inmitten jener Sommernacht,
Und fänd ich selber wie im Traume
Den Weg zurück durch Moor und Feld –
Sie schritte doch vom Waldessaume
Niemals hinunter in die Welt.

„Und wenn sie doch hinunterschritte?“ sagte ich.
„Dann wollen wir die Büchse laden! Der Wald und seine Schöne sind in Feindeshänden.“

3. Rezeption der Novelle

Kein Geringerer als Eduard Mörike schrieb zu der Erzählung ‚Ein grünes Blatt’ im April 1854: „Jener Sommertag, brütend auf der einsamen Heide und über dem Wald, ist bis zur sinnlichen Mitempfindung des Lesers wiedergegeben.“ Aus Storms Antwort spricht dennoch eine gewisse Unzufriedenheit mit dieser Novelle, der ein aktueller Anlass zugrunde lag, nämlich die Besetzung Schleswig-Holsteins durch die Dänen – es war Krieg! Storm in einem Brief an Mörike im Oktober 1854: „Mein ‚Grünes Blatt’ beurteilen Sie im ganzen nachsichtig genug; es ist … mit einem Wort nicht recht aus dem Vollen geschrieben; und dadurch, daß mir die Regine unter der Hand so etwas allegorisch zu einer Art Genius der Heimat geworden, hat die ganze Conzeption etwas Zwitterhaftes bekommen, dem schwerlich abzuhelfen.“

Bildquelle: Wikimedia Commons

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    Der Mensch nach Frieden strebt,
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    Frank Poschau
    02.10.11
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