Zum Tod von Oscar Niemeyer, dem letzten Vertreter der klassischen Moderne in der Architektur

Das Ende der klassischen Moderne

Das Ende der klassischen Moderne

Wie alle Sammelbegriffe ist auch die “” in der kein einheitlicher und – natürlich – kein unumstrittener. Dennoch kann man die vielen Stilarten, die die der klassischen Moderne besonders zwischen 1920 und 1960 prägten, auf einige gemeinsame Formen bringen: Die Funktion bestimmt die Form. Weniger ist mehr. Kein Schmuck ohne Sinn. Das sind Leitsätze, die die Architektur – zum Guten wie zum Schlechten – prägten. Leitsätze, die im oftmals historisierenden noch öfter beliebigen Bauen der Gegenwart immer seltener zur Geltung kommen. In dieser Woche ist der letzte noch lebende Vertreter der klassischen Moderne in der Architektur, der Brasilianer , im Alter von 104 Jahren gestorben.

Die Sprache der klassischen Moderne

Wie sonst nur bei wenigen Architekten fand die klassische Moderne bei Oscar Niemeyer eine Sprache, die bis heute gültig ist, wohl weil Niemeyer in seinen Bauten den Menschen mitdachte und ins Zentrum stellte. Allem Futurismus zum Trotz strahlt Niemeyers klassische Moderne keine Kälte aus. Niemand, der heute Brasilia, die von Niemeyer und seinem Lehrer Lucio Costa am Reißbrett entworfenen und im Alleingang erbauten brasilianische Hauptstadt, besucht, wird ihre Modernität bezweifeln. Zur klassischen Moderne in der Architektur (wie in anderen Disziplinen der Kunst), passten denn auch Lebensgeschichte und gesellschaftliches Sendungsbewusstsein des überzeugten Kommunisten Niemeyer. “Wir müssen die Welt verändern” war der Leitsatz, den Oscar Niemeyer, der bis zuletzt täglich zur Arbeit ging, seinen Mitarbeitern handschriftlich an die Bürowand geworfen hatte. Mehr klassische Moderne geht nicht.

„Wir müssen die Welt verändern“

Und wovon wären wir im Moment – die folgenlosen Wahlkampfreden Barack Obamas von 2008 einmal ausgenommen – weiter entfernt, als von öffentlich kundgetanen Plänen zur Veränderung der Welt? Mit der Ablösung der klassischen Moderne durch ihre listige Nachfolgerin, Post-Moderne genannt, sind Bekenntnisse dieser Art unmodern geworden. Sachlichkeit ist Trumpf, auch da, wo man sie sich nicht wünscht. Der Rückzug ins Private verbindet schlägt die Brücke zum Biedermeier und wann hat man das letzte Mal einen Architekten ein politisches Bekenntnis abgeben hören? Natürlich war vieles Illusion in den Theorien, die man zur klassischen Moderne rechnen kann. Was hat man sich nicht alles versprochen vom (technischen) Fortschritt, der die Menschen befreien, ja auf eine höhere Bewusstseinsebene führen würde. Sieht man sich etwa die “Next Generation”-Staffeln von “Star Trek” an, kann man dieser Geisteshaltung noch nachspüren. Allerdings musste die Welt schon dort zuvor durch die komplette Zerstörung durch nukleare Waffen gehen; schließlich entstammte die Serie bereits der Welt des Kalten Kriegs.

Lieber große

In Vielem scheint mithin seit den hohen Tagen der klassischen Moderne der gesunde Menschenverstand wieder die Führung über den Traum übernommen zu haben. In Vielem fehlt dieser Traum, fehlen die Visionen aber schmerzlich. Vor allem seit 1989 auch die letzte theoretische Systemalternative zum (pseudo-)demokratisch verfassten Kapitalismus – zu Recht – vom Tisch ist und die Chinesen uns vormachen, wie gut KP-Diktatur und Kapital zusammengehen. Der Rückzug ins Reich der Sachzwänge und des privaten Glücks ist in der westlichen Welt beinahe voll zur Blüte gelangt. Und gut dialektisch schlagen mit “Retro-, “Neo-” und Co. die von der klassischen Moderne vertriebenen Sehnsuchts-lindernden Ornamente zurück. Träume und Sehnsüchte, lassen sich eben nicht unterkriegen. Dass sie in der Epoche der klassischen Moderne größere Dimensionen besaßen als heute, gerät der Epoche nicht zur Unehre.

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