Ist die NSA für das Ende der Geschichte verantwortlich?
Der Weltstaat und das Ende der Geschichte
Dienstag, 5. November 2013 von AK
Der Weltstaat und das Ende der Geschichte
Ist das Ende der Geschichte gekommen? Und ist gar die “National Security Agency” (NSA), jener in diesen Tagen viel besprochene US-amerikanische Geheimdienst, Schuld daran? “Die allgegenwärtige Überwachung hat einen Weltstaat geschaffen: Es gibt keinen Ort mehr, an den man emigrieren kann.”, so war in dieser Woche in der FAZ zu lesen. Der Autor, Thomas Stamm-Kuhlmann, seines Zeichens Inhaber eines historischen Lehrstuhls an der Universität Greifswald, räsonierte in seinem “Das ist Totalitarismus” betitelten Beitrag über die allumfassende Überwachung Made in USA und deren Konsequenzen. Dabei zapfte er, ohne den Begriff zu nennen, einen Topos an, der im 20. Jahrhundert fröhlich zwischen rechten und linken Intellektuellen hin- und hergereicht wurde: Die These vom Ende der Geschichte.
Ist die NSA für das Ende der Geschichte verantwortlich?
Francis Fukuyama hatte mit seinem Buch “Das Ende der Geschichte und der letzte Mensch” – seither eine wichtige Referenz der “Neocons” – einen Diskurs aktualisiert, der zuvor wesentlich vom russisch-französischen Philosophen Alexandre Kojève befeuert worden war. Fukuyama behauptete 1992, dass mit dem Ende der Sowjetunion die Alleinherrschaft der liberal-kapitalistischen Weltordnung angebrochen war, garniert mit etwas Demokratie natürlich. “Mission accomplished”, hätte demnach schon George W. Bush Sr. ausrufen können. Bei Kojève, 60 Jahre zuvor, war es zunächst Stalin, der mit seiner handfesten Variante des politischen Marxismus und der Umsetzung der “Weltrevolution” in einem Land als hegelscher Weltgeist aufgesattelt hatte. In beiden Fällen sollte – bei Kojève war dies noch Prognose, bei Fukuyama Tatsachenbehauptung – die geschichtliche Dialektik ans Ende der Geschichte, also zur letzten dialektischen Synthese gelangt sein.
Der universale Weltstaat
Der universale Weltstaat als Lebensort ohne (System-) Widersprüche und damit das Ende der Geschichte wurde in beiden Fällen zumindest implizit ausgerufen, doch darum soll es hier nicht gehen. Vielmehr hatte nicht erst Leo Strauss in seiner Kontroverse mit eben jenem Kojève vehement gegen den Weltstaat als erstrebenswertes Ziel gewettert. – Mit ähnlichen Feindbildern, wie nun Stamm-Kuhlmann, der die Frage stellt, “ob der Weltstaat, eine lange gehegte Lieblingsidee mehrerer Generationen von Föderalisten und Pazifisten, noch eine erstrebenswerte Vorstellung darstellt.” Diese “Traditionen der atlantischen Demokratie”, die uns den Weltstaat schmackhaft machen wollten, sollen nun also auf den Prüfstand. Denn um diesen Weltstaat, das Ende der Geschichte, überhaupt noch verhindern zu können, müssen wir “argumentieren, als lebten wir bereits in dem Weltstaat” und also Dissidenten werden.
Noch einmal Herr und Knecht
Als “Knechte” sollen wir den neuen “Herrn” studieren und ihm die immanenten Widersprüche seiner Ideologie vorhalten, ganz wie die Dissidenten im “östlichen Totalitarismus” Marx gegen den Marxismus gewendet hätten. Stamm-Kuhlmann sieht in der “Tea Party” solche Dissidenten bereits am Werk, die im Rückgriff auf die US-Tradition eines grundsätzlichen Misstrauens gegen Regierungshandeln “Zweifel am Überwachungsstaat entwickelt” hätten. Auf anderer Ebene lässt er Wladimir Putin als Snowden-Beschützer auftreten, der dann wohl im Verhältnis zu Obamas NSA ebenfalls auf der Seite der Dissidenten zu platzieren wäre. Eine interessante Konstellation, die da dem Ende der Geschichte entgegenwirken soll.
Das Problem mit den Widersprüchen
Über Putin muss man derzeit wohl keine weiteren Worte verlieren. Angemerkt sei aber, dass sich die der liberal-kapitalistische Weltordnung vielleicht nicht als Ende der Geschichte im Sinne eines „universalen Reichs der Freiheit“ erwiesen hat. In der Absorption vermeintlicher Widersprüche hat sich dieser de facto-„Weltstaat“ allerdings als äußerst effektiv erwiesen. Vielleicht sei nicht nur Professor Stamm-Kuhlmann eine wieder-Betrachtung der Gründe anempfohlen, aus denen Karl Marx nicht das Reich des Geistes oder das der Politik als Basis verstanden wissen wollte, sondern das der Produktionsmittel.
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Info zum Beitrag: Der Weltstaat und das Ende der Geschichte
Veröffentlicht am Dienstag, den 5. November 2013 um 09:28 Uhr
Kategorien: Tag der Wahrheit
Tags: Alexandre Kojeve, Dialektik, Ende der Geschichte, Geheimdienst, Geschichte, Hegel, Herr und Knecht, Karl Marx, Kojeve, Leo Strauss, NSA, Obama, Synthese, Weltstaat, Widerspruch
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Stefan Wehmeier