Im Streit um die Beschlüsse des Euro-Gipfels stellt sich die Grundfrage der Verantwortung
Von der Abschaffung der Verantwortung
Freitag, 6. Juli 2012 von AK

Euro-Gipfel oder: Die Abschaffung der Verantwortung
Verantwortung kommt selten allein
Mit der Verantwortung ist das so eine Sache. Man kann sie annehmen, übernehmen, abwälzen oder unter ihrer Last ersticken. In jedem Fall kommt Verantwortung selten allein; üblicherweise ist sie die Rückseite irgendeiner Kompetenz, einer Position, einer Möglichkeit, die man erhält oder sich selbst schafft. Verantwortung kann demnach – im besten Falle – ein Korrektiv für das eigene Handeln darstellen – je mehr Verantwortung, so das an dieser Stelle evozierte Ideal, desto verantwortungsbewusster, besonnener und damit „angemessener“ handelt man.
Kultur des Haftungsausschlusses
Nun sind auch Ideale so eine Sache und dennoch; wohin Sie im täglichen Leben auch schauen, es läuft wohl überall dort am besten, wo Handeln vom Bewusstsein der eigenen Verantwortung getragen ist. (Familienväter leben statistisch betrachtet nicht umsonst länger als alleinstehende Männer; und das sicher nicht wegen des besseren Nachtschlafs.) Juristisch gesehen entspringt aus Verantwortung das bedrohliche Rechtsinstitut der Haftung. Und wie der Wortstamm “Haft-” bereits andeutet, wird man diese normalerweise nicht so leicht los, auch wenn man – und nicht nur im Internet – vielerorts glauben könnte, in einer “Disclaimer” (also Haftungsausschluss-) Kultur zu leben.
Der Skandal an der Krise
Verantwortung und Haftung sind dennoch – theoretisch – Grundlagen unseres Wirtschaftssystems und es ist erlaubt, die bereits formulierte Grundregel auch und vielleicht gerade für diesen Lebensbereich zu variieren: Wirtschaftliche Krisensituationen entstehen sicher nicht dadurch, dass ein Übermaß an Verantwortung im Spiel gewesen wäre. Die gesamte – immer noch erstaunlich kurze – Geschichte der gegenwärtigen Wirtschaftskrise zeigt vielmehr, dass die Ursachen dort zu suchen sind, wo auf verantwortliches Handeln gepfiffen wurde. Dass viele der staatlichen Versuche der Krise(n) Herr zu werden im Grunde einen Haftungsausschluss für die direkt beteiligten Akteure und eine Vergemeinschaftung der Haftung und damit der Verantwortung bedeuten, ist – im Grundsatz – ein Skandal.
Im Streit um die Beschlüsse des Euro-Gipfels stellt sich die Grundfrage der Verantwortung
Darauf zielt auch der dieser Tage heftig kritisierte Protestaufruf von “Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler der deutschsprachigen Länder”, im Grunde ab: Wenn etwa Bankenrettung im EU-Raum künftig bedeutet, dass die Anteilseigner dieser Institute von ihrer Haftung – und damit ihrer Mit-Verantwortung für das Tun der Bank – ganz offiziell befreit werden, wird das Folgen haben. Und diese Folgen werden in jedem Fall eines: teuer. Niemand, der sich nüchtern mit den Entscheidungsstrukturen der EU beschäftigt, kann ernsthaft glauben, dass es – wie es im Beschluss des Euro-Gipfels steht – eine Direktkapitalisierung maroder Banken erst nach der Etablierung einer wirksamen (!) europäischen Bankenaufsicht geben wird. Zocken ohne Verantwortung heißt vielmehr das Gebot der Stunde – man müsste fast mitmachen.
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Info zum Beitrag: Von der Abschaffung der Verantwortung
Veröffentlicht am Freitag, den 6. Juli 2012 um 11:51 Uhr
Kategorien: Tag der Wahrheit
Tags: Bankenrettung, ESM, EU, Euro, Europäische Union, Finanzkrise, Haftung, Haftungsausschluss, Verantwortung